Martin Seeger: „Der soziale Aspekt hat für mich immer schon eine starke Hebelwirkung“

Projektbeschreibung

Martin Seeger, zuständig für Geschäftsleitung und Sales bei der „ProSiebenSat.1PULS 4 GmbH“, erzählt Kristina Petryshche und Sebastian Püttner, wie er mit sozialer Intelligenz trotz schlechter Begabung als Handwerker einen Studioumbau leiten konnte, welche Eigenschaften man als Medienmanager*in mitbringen sollte und warum man auch in einem großen Konzern offen über anstehende Projekte und Probleme diskutieren sollte.

 

Warum ist dein „Twitter“-Handle „Discopunker“?  

(Martin lacht). Sehr aufmerksam. Das ist lustiger Weise sogar aus der Studentenzeit aus meiner WG heraus entstanden.  Wir waren drei Jungs, ausgestattet mit einem Standrechner und haben damals eine Website gebastelt, wo wir einfach unsere Fortgehfotos hochgeladen haben. Nachdem wir uns nicht festlegen konnten, ob wir jetzt Discogeher oder Punks sind, haben wir es einfach zu Discopunks umformiert.

 

Witzig, dass das immer noch so eine Rolle spielt. Wir wollten eh zunächst zur Studentenzeit kommen.  Wir haben ja – Corona bedingt – das FH-Leben noch nicht wirklich mitgekriegt, deshalb wollten wir fragen, wie das Studentenleben an der FH damals war?

Als ich begann, war die FH ja wirklich sehr klein. Da gab es das Gebäude, in dem ihr jetzt seid noch nicht. Wir waren in dieser Villa mit dem Nebengebäude und das war halt extrem familiär – jede/r kannte jede/n. St. Pölten war jetzt auch nicht unbedingt die Partymetropole, folglich haben sich die Partys im ersten Semester sehr beschränkt auf das Wohnheim. Aber wir sind dann auch sehr schnell mit den Wiener*innen, die gependelt haben zusammengewachsen. Im Sommer ging es dann zum Ratzersdorfer See runter. Infrastrukturell hat St. Pölten halt nicht viel hergegeben zu der Zeit.

 

Bei den Studierenden in Medienbereichen sind es aktuell genau die gleichen Hotspots, würde ich sagen. Gibt es einen prägenden Moment, der dir im Gedächtnis geblieben ist von der FH -Zeit, egal ob die Ausbildung betreffend oder auch privat?

Also privat war es eine sehr traurige Geschichte gleich beim Start in das Studium. Wir waren der zweite Medienmanagement-Jahrgang damals und ein Studentenkollege ist im zweiten Monat gestorben.  Ich war Jahrgangssprecher und habe dann mit den Eltern reden müssen und einen Tross von Studenten organisiert, die nach Kärnten zum Begräbnis gefahren sind.  Das, obwohl wir den Kollegen ja gar nicht gut kannten, weil wir uns ja selber erst in der Kennenlernphase befunden haben. Auf der anderen Seite hat uns das traurige Erlebnis zusammengeschweißt und das ist die komplette Studienzeit so geblieben.  Wir waren wirklich ein gutes Team. Es gibt immer noch „WhatsApp“ Gruppen von ehemaligen Student*innen, die sich noch treffen und das ist jetzt doch 20 Jahre her. Diese Freundschaften oder zumindest Bekanntschaften bleiben bestehen. Auch beruflich trifft man sich immer wieder, das hilft auf jeden Fall.

Was ich vom Studium am meisten mitgenommen habe, ist diese hohe soziale Kompetenz. Eben weil viel Teamarbeit gefordert war, weil Gruppenarbeiten da waren, weil jede/r sich in seiner bzw. ihrer Rolle finden musste und man ein/e Teamplayer*in sein muss. Ich glaube, als Einzelkämpfer*in würde man nicht sehr weit kommen an der Fachhochschule. Das Gleiche spiegelt sich meiner Erfahrung nach dann auch im Berufsleben wider.

 

Stimmt, ohne Gruppenarbeiten würde jetzt gar nichts laufen an der FH. Aber eine arge Geschichte, die letztlich ein positives Ende fand. Bei deiner Diplomarbeit ging es ja dann auch um die soziale Kompetenz und deren Auswirkungen auf den Erfolg von Projekten. Wie bist du zu diesem Thema gekommen? Anscheinend ist das wirklich eine sehr wichtige Sache für eine Medienlaufbahn.

Das hat gar nichts mit Medien per se zu tun, sondern für mich hat der soziale Aspekt – egal ob in einer privaten Beziehung oder im beruflichen Miteinander – immer schon eine ganz starke Hebelwirkung. Ich wollte im Rahmen meiner Diplomarbeit damals empirisch erforschen, ob das tatsächlich so ist. Unterm Strich, abgesehen von meiner Diplomarbeit, auch jetzt mit meiner Berufserfahrung kann ich euch sagen: Es ist so. Ich versuche, ein möglichst empathischer Mensch zu sein, auch als Chef. Ich versuche meine Mitarbeiter*innen zu verstehen und habe dann auch eine viel bessere Lösungskompetenz. Das erwarte ich umgekehrt auch von meinem Team. Das Fachliche kann man lernen, gerade in der Medienbranche, das ist alles keine Rocket-Science, die wir da betreiben.  Aber es ist einfach ein People-Business, und man muss kommunikativ und einfühlsam sein, Verständnis aufbringen, Dinge einfach erklären können, visionär sein, Visionen weitergeben können, antreiben. Das sind, glaube ich, Skills, die man aus so einem Studium auch mitnehmen möchte. Das Fachliche ist wichtig, aber fachlich verändert sich die Branche permanent, so dass alles was du jetzt wahrscheinlich lernst in zwei Jahren schon wieder überholt ist.

 

Das heißt, trotz dieses großen Konzerns gibt es ein eher familiäres Verhältnis in der Abteilung?

Ja, total. Das ist auch ein Grund, warum ich jetzt schon seit 2007 in dieser Firma bin. Freilich auch weil sich mein Tätigkeitsbereich permanent verändert hat: Ich habe 2007 begonnen beim Fenstersendervermarkter, der Werbeblöcke überblendet hat und sonst war da nichts. In der Zwischenzeit haben wir ein paar Fernsehsender gegründet, digitale Plattformen groß gemacht, machen ein „4GameChangers Festival“ usw. Für mich persönlich gibt es keinen cooleren Arbeitsplatz als in einer Firma, die es schafft, sich permanent neu zu erfinden und neu zu positionieren.

 

Das heißt, das, was dir an dem Job auch so gefällt ist, dass du immer etwas Neues lernst und dass es nicht monoton ist?

Genau, diese Bereitschaft sich permanent weiterzuentwickeln muss man auch mitbringen, wenn man im Mediensektor arbeiten möchte. Durch die Veränderungen in der Technologie, vor allem im digitalen Sektor, müssen wir im Sales mitlernen und mitwachsen. Also mit einer reinen Werbeblockvermarktung machen wir natürlich immer noch sehr viel Geld und Umsatz, aber das ist auch schon so ein Routinegeschäft, da passiert nicht mehr viel. Private Entertainment war noch vor ein paar Jahren die heilige Kuh und alle wollten Entertainment machen und da haben alle bei mir auch im Sales mitdenken müssen: Wie könnten Formate aussehen mit Kund*innen drinnen?

 

Das geht schon in Richtung meiner nächsten Frage. Aber vielleicht kannst du es noch ein bisschen genauer ausführen: Was sollte man als angehender Medienmanager mitbringen?

Also Interesse, das ist einmal das aller wichtigste. Du musst dich mit Medien einfach gerne befassen und permanent befassen. Das ist das Um und Auf. Es ist auch ein Job, der dich 24 Stunden am Tag verfolgt (Martin hält Smartphone in die Kamera). Du hast dauernd dein Smartphone mit, wo sich alles mit Medien und Werbung befasst. Das muss man auch mögen. Es schwappt natürlich immer auch ein bisschen ins Privatleben rein.  Es ist eine Kommunikationsbranche und wenn jemand sehr introvertiert ist, dann – gibt es natürlich auch Jobs. Aber dann rate ich nicht, im Vertrieb zu arbeiten oder in den Redaktionen, wo man auf die Straße gehen, Beiträge drehen, Sendungen machen muss. Das geht dann nicht. Teamplayer zu sein, ist auch extrem wichtig, weil eine Fernsehshow funktioniert nur, wenn das Team dahinter funktioniert. Ein Kundenauftrag kommt auch nur zu Stande, wenn jedes Zahnrad ineinandergreift und die Abteilungen zusammenarbeiten. Das sind Aspekte, auf die ich bei Bewerbungsgesprächen achte. Das Können ist wichtig, aber wenn ich da jemanden gegenübersitzen habe, wo der Funke nicht überspringt, weil das keine Persönlichkeit ist oder sich selbst nicht gut darstellen kann, dann ist man wahrscheinlich nicht so gut aufgehoben in der Branche.

 

Was soll Student*innen im Studium vermittelt werden? Also was ist dann wichtiger – aufs Fachliche zu gehen – logischerweise, wir sollen ja auch etwas lernen, aber ist es vielleicht wichtiger, einen Fokus auf soziale Komponenten zu legen?

Neben den Basic Skills, die man halt im Marketing, in der Pressearbeit und in der Produktionsarbeit halt haben muss – das ist der Nährboden von dem Ganzen. Und dann war für mich auch eine der besten Lehrveranstaltungen „Projektmanagement“. Da hat man die Tools an die Hand bekommen, auch wenn ich nicht alles benutze, was uns damals erzählt worden ist. Mit vielen Inhalte davon arbeite ich einfach noch immer.  Die richtigen Leute für die richtigen Aufgaben herholen, die richtigen Leute miteinander vernetzen, also das sind die Fähigkeiten, die immens wichtig sind.

Und ein bisschen rechnen sollte man können. (Martin lacht)

 

Du bist sowohl bei der Geschäftsleitung des Sales-Bereichs als auch Director bei Ad Factory & Full Service Agency. Worin bestehen da deine Aufgaben?

Meine Kernaufgabe ist die Geschäftsleitung im Sales-Bereich, das heißt ich bin für alle Umsätze, die wir in diesem Haus machen verantwortlich.  Für Ad Factory und New Business Sales bin ich auch noch die Teamleitung. Bei der Ad Factory habe ich mittlerweile auch eine Direktorin, die das auch für mich übernimmt, aber bei dem Neukundengeschäft spiele ich noch persönlich mit. Im Kern bin ich für alle Umsätze bei uns im Haus verantwortlich, ich mache das zusammen mit Michi Stix. Der ist hier Geschäftsführer, an den reporte ich. Er ist der Außenminister und ich bin der Innenminister.

 

Das ist eine sehr nette Metapher.

Ich muss mich um Prozesse kümmern. Ich muss schauen, dass den Leuten ihre Arbeitsbedingungen passen, damit sie ihren Job gut machen. Ich gebe Inputs bezüglich ihrer Arbeitsweisen und bin als Partner da, wenn sie irgendwelche Verhandlungen oder Gespräche vorbereiten sollen. Ich bestimme Deals, motiviere – alles, was mit den Leuten zu tun hat.

 

Was gefällt dir da am besten dran? Also wenn du jetzt eine Sache bis zur Pension machen dürftest?

Die eine Sache ist sicher die Mitarbeiterführung. Das bedeutet, jeden Tag mit neuen, positiven oder negativen Punkten konfrontiert zu werden. Es könnte jemand an die Tür klopfen und sagen, er müsste ein wahnsinniges Problem mit mir besprechen und klären. Das kann jederzeit passieren und das ist halt auch das, was mir sehr viel Spaß macht.

 

Wenn wir schon bei Mitarbeiter*innen sind: Wie würde der oder die beste herausstechen? Also was macht die aus, von denen man sagt: Perfekt, den behalten wir, oder: die kommt ins Team.

Es sind zwei Sachen, die eintreffen müssen. Die könnten auch aneinanderprallen, aber am besten vereinen die Personen das: Das ist eben zum einen ein/e Teamplayer*in zu sein, auf der anderen Seite diesen Will to Win haben. Unbedingt der Beste sein zu wollen oder die beste Arbeit abliefern zu wollen. Gebe ich mich mit dem Mittelmaß zufrieden oder mach ich noch diese Extrameile. Das heißt nicht bis elf am Abend im Büro sitzen und der Letzte zu sein, der nach Hause geht und der Erste zu sein, der in der Früh kommt, sondern sich proaktiv einzubringen, Inputs zu liefern. Also sich einfach nicht mit dem Status Quo zufrieden zu geben. Das ist, glaube ich, eine wichtige Grundeinstellung.

 

Das heißt also, jede/r kann etwas beisteuern?

Ja, wir machen zweimal die Woche zu Mittag ein Company Meeting. Auf freiwilliger Basis kann jede/r, der oder die da ist und Zeit hat, zu uns ins Foyer runterkommen und da ist eben jemand aus dem Management und berichtet eine Viertelstunde über seinen Bereich: Was passiert gerade? Womit beschäftigen wir uns? Wo brauchen wir Hilfe? Da gibt es auch ein paar, die sich trauen irgendetwas zu sagen oder auch welche, die das nicht machen. Das ist eine sehr offene und coole Art zu kommunizieren.

 

Das hätte ich mir gar nicht vorgestellt in so einem großen Unternehmen. Apropos großes Unternehmen: Es gibt ja auch Kolleg*innen aus Deutschland. Wie eng arbeitest du mit denen zusammen?

Es ist eher ein Austausch. Ich habe einmal pro Woche ein Telefonat mit meinem Pendant in Deutschland, bei dem wir uns über Umsätze und Kunden unterhalten. Das geschieht regelmäßig, aber nicht sehr in die Tiefe gehend. Wenn etwas wichtig ist, Telefon in die Hand nehmen und anrufen. Das ist auch immer angenehm, wenn man als kleines österreichisches Büro im Vergleich zu dem großen Ding in Deutschland einfach auch ein offenes Ohr hat.

 

Und ist es bei den Sendern so, dass es eine/n Verantwortliche/n gibt aus Deutschland? Oder ist in Österreich dann quasi jede/r für sich verantwortlich?

Das ist eben der Unterschied: Also es gibt „ProSieben“ mit „ProSieben Austria“, es gibt „Sat1“ mit „Sat1 Österreich“. Da gibt es in Österreich schon Geschäftsführer, aber programmlich haben wir auf diesen Sendern das, was aus Deutschland kommt. Das Konzept ist, dass wir die Werbung überblenden, beziehungsweise, dass, wenn wir zum Beispiel ein Branded Entertainment-Format produziert und verkauft haben, wir auch etwas überblenden könnten auf „ProSieben“. Bei Fünf-Minütern machen wir das zum Beispiel. Da haben wir letztes Jahr ein Format gemacht, „Design Dreams Einrichtungsformat“, wo IKEA als Branded Entertainment-Partner mit dabei war, und da haben wir Flächen von „ProSieben“ überblendet aus Österreich und das war dann wirklich ein eigenständiges, in Österreich produziertes „ProSieben“-Format. Bei den Sendern, die aus Deutschland kommen und bei „PULS4“, „PULS24“, „ATV“, „ATV2“ spielt Deutschland gar nicht mit, da machen wir alles in Österreich. Mit Sendergeschäftsführern, Redaktionen, Produktionsteams – da ist alles hier.

 

Sehr spannend. Gehen wir kurz weg von „Puls4“. Du warst ja auch bei „OKTO-TV“ in der Projektbetreuung. Hat dir das jetzt in dem Job irgendwie weitergeholfen?

In der Zeit bei „OKTO“ habe ich meine Diplomarbeit geschrieben. Ich habe dort ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen und hatte dort Ruhe.  Neben der Mitbenutzung der Büroinfrastruktur habe ich dort etwas gemacht, was ich gar nicht kann, nämlich mich um einen Umbau gekümmert. Ich bin handwerklich total unbegabt, habe aber diesen Umbau geleitet und musste mich mit Baufirmen herumschlagen.

 

Wie ist das denn zustande gekommen?

Das hätte eigentlich eine Freundin von mir machen sollen, aber die konnte nicht.  Der Geschäftsführer von „OKTO-TV“ war ja auch früher an der FH und da gab es dann auch diesen Bezug zur FH.

 

Davor warst du Key Account Manager bei der „Verlagsgruppe News“. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit bei einem Fernsehsender von der bei einem Verlag? Gibt es da Schnittpunkte?

Also ich war bei der „Verlagsgruppe News“ nur so ein Jahr und ich war auch nicht bei den Magazinen, sondern Key Accountant für die Online-Plattformen.  Die Online-Vermarktung war damals noch nicht so groß und man ist voll im Schatten gestanden von diesem Magazin-Riesen. Damals war die „Verlagsgruppe News“ ein Aushängeschild der Medienbranche und für uns war es immer schwierig zu sagen: „Ja, ‚Verlagsgruppe News‘, aber Achtung: nicht fürs Magazin, sondern für die Online-Seite.“  Pionierarbeit, da die Leute halt noch nicht gewusst haben, was Internetwerbung ist. Dann hat mich eine ehemalige Studienkollegin zu „Seven One Media“ geholt. Das war eben ein Netzwerk aus der FH, das man aufbaut, und so habe ich dann gewechselt.

 

Ich habe jetzt auch noch gelesen von der 360 Grad-Vermarktungsidee im TV und Online – Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Einfach gesagt: Wir nehmen die Kampagnenidee von einem Kunden auf und versuchen die auf all unseren Plattformen zu positionieren. Als Geschichte mit klassischen Mitteln: Sponsorings im TV und auf digitalen Plattformen. Das ist das eine, also quasi das was jeder Vermarkter und jedes Medienhaus irgendwie anbietet, weil die meisten eine Online-Plattform haben und etwas anderes. Was wir im Speziellen machen, ist, dass wir sehr viel Ressourcen, sowohl personelle als auch finanzielle, in das Thema Ad-Technologie stecken, also die Weiterentwicklung der Werbung und versuchen da die Plattformen TV und Digital zu verschmelzen.

Das eine, wo uns das gelingt, ist Adressable TV, das heißt, wenn du ein Smart-TV-Gerät zuhause hast und den Sender umschaltest, dann wird manchmal eine L-Werbeform ausgespielt und das ist keine klassische TV-Werbeform, sondern ein digitaler Werbebanner. Wo wir gerade dran sind, ist Cross-Device-Targeting, das heißt, wir versuchen einen Haushalt zu identifizieren über das Smart-TV-Gerät oder das Smartphone und wissen dann, ob du jetzt als Kristina die Werbung schon gesehen hast oder nicht. Je nachdem was mit dem Kunden vereinbart ist, also zum Beispiel „Wenn Kristina nur am Handy ist, weil sie nur auf ‚Facebook‘ oder ‚Instagram‘ oder irgendwo ist, dann spiele ich ihr auch noch schnell eine ‚Instagram‘-Werbung aus“ – das können wir auch.

 

Dazu habe ich letztens eine Präsentation gehalten, die hieß „Überwachungskapitalismus“ und es ging sehr stark um targeted ads. Cambridge Analytica war da auch ein Punkt. Spielen bei euch dann jetzt auch soziographische Daten eine essentiellere Rolle als demographische?

Naja, das ist eine gute Frage. Wir sammeln Daten, sind aber nicht sehr gut darin… niemand in Österreich ist sehr gut im Daten sammeln. Als Vermarkter gesprochen und es tut sich da auch einiges. Man sagt, das Ende der Cookies ist eingeläutet. Das neue Apple IOS Update lässt auch noch für Apps eine eigene Zustimmung einholen, dass man getrackt wird. Es wird immer schwieriger. Als Medienhaus ist man dazu angehalten, zu versuchen einen eigenen Wallet Garden zu erschaffen, also eine First Data zu besitzen über Log-Ins.  Damit das gelingt, wird man wahrscheinlich auch Kooperationen mit anderen Partnern eingehen müssen, um einen großen Pool zu erlangen. Als Beispiel: Die Net-ID gibt es in Österreich noch nicht, aber wir versuchen das permanent und wollen das in Österreich auch starten. In Deutschland ist eine europäische Log-In-Allianz die Lösung. Dazu zählen die „ProSiebenSat.1“-Gruppe, die „RTL“-Gruppe, United Internet, zum Beispiel GMX. Wenn du dich einmal irgendwo anmeldest, bist du in dieser Log-In-Allianz drinnen. Das ist eine Möglichkeit, wie man dann First-Data besitzt. Das wird, glaube ich, die neue Währung.

Oder man hat halt Glück im Unglück, wenn ich das aus unserer Sicht sagen kann. Wir wissen relativ gut, wer unsere Inhalte konsumiert, weil wir es aus der Fernsehwelt kennen. Also „2 Minuten 2 Millionen“ auf „PULS4“ wird eine ähnliche Seherstruktur haben auf einer Online-Plattform. Ohne dass wir diese Daten wirklich wissen, aber wir können diese Ableitung aus dem Fernsehen, wo sie ganz genau messen, mit dem digitalen Bereich überlappen und können über das abstimmen.

 

Da zählen jetzt auch solche Sachen dazu wie die „Galileo“-App, wenn man da live mitmacht?

Ja, genau.

 

Welche Entwicklungen prognostizierst du für die Zukunft? Oder haben wir das mit der Entwicklung zum Mikrotargeting quasi abgedeckt?

Das Targeting ist das eine, aber auf der anderen Seite hast du auch immer die Konsumentensicht. Es ist ja auch unsympathisch, wenn man von einer Werbung verfolgt wird – und wenn ich mir irgendwo diese Schuhe angeschaut hab, dann will ich nicht noch zehn Mal diese Werbung sehen. Im schlimmsten Fall habe ich sie mir schon gekauft und bekomme die Werbung nachher weiter. Das muss verbessert werden.

Das andere ist es, etablierte Premiummarken und gute Inhalte zu schaffen, also Vertrauensbildung. Gerade in Zeiten von Fake-News sollte man es schaffen, eine Marke zu etablieren, der Konsument*innen auch vertrauen. Dass man weiß, egal ob im Fernsehen oder am Handy, wenn das von dem Absender kommt, dann glaube ich das.

Auch wird es eine Bereinigung am Streamingmarkt geben und da werden wir sehen, wer von den großen Streamern noch überbleibt. Sicher nicht alle, die jetzt auf den Markt kommen. Deshalb glauben wir weiter an das werbefinanzierte Modell. Weil es auch immer eine Kostenfrage ist, wie viele Streamingdienste die Leute sich leisten können. Deshalb braucht es eine Plattform, wo man möglichst viel rausziehen kann. Ich möchte als Zuseher auch nicht dauernd auf andere Player gehen. Das muss man zusammenfassen und in eine kuratierte Form bringen.

 

Weil du gemeint hast, man soll dem Medium mit seinen Inhalten Vertrauen schenken können. Glaubst du, dass das Privatfernsehen ein bisschen den Auftrag vom Öffentlich-rechtlichen übernimmt oder mitträgt? Als Beispiel bei „ProSieben“ „Joko und Klaas“ mit Dokus über Sexismus oder bei „PULS4“ vom 10. Mai 2021 die Runde mit Corinna Milborn und der Runde mit den Eltern der ermordeten Frau vom „Bierwirt“. Das ist ja eine sehr seriöse und aufklärende Sendung mit Inhalt. Merkt das Privatfernsehen, dass es nicht nur um Entertainment geht?

Wir wollen den öffentlich-rechtlichen Sendern nichts abnehmen, das ist mal das eine. Das ist ganz klar der Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders und im Falle vom ORF bekommt dieser 700 Millionen Euro pro Jahr an Gebühren, um genau solche Inhalte zu machen. Wir müssen das alles werbefinanzieren. Aber wir haben uns auch ganz klar deklariert, nicht nur mit „PULS4“, sondern auch mit „ATV“ als Vollprogramm, und als Vollprogramm gehören nun mal auch Nachrichten und Diskussionsformate dazu. Seit wir „PULS 4“ machen, also seit dem Jahr 2008, hat Public Value bei uns einen hohen Stellenwert. Es hat damals begonnen mit „Talk of Town“, mittlerweile „Pro und Contra“, das ziehen wir schon immer durch. Wir haben auch versucht, frischen Wind in die ganzen Wahlsendungen reinzubringen und nicht einfach wieder alle in einen Raum zu setzen und die streiten miteinander. Es muss noch vor 2012 gewesen sein, als wir auf der Mariahilferstraße in Wien waren und in einer Wahlsendung Videos von Österreicher*innen eingespielt haben. Auf die mussten die Politiker*innen Fragen beantworten. Wir haben Publikum reingeholt – das sind alles Dinge, die aus dem Privat-TV getrieben wurden und somit auch den ORF angestachelt haben, sich weiterzuentwickeln. Meinungsvielfalt gehört da natürlich dazu. Das gehört in eine Demokratie, dass einfach alle Seiten beleuchtet werden.

Es freut mich auch, wenn du diese Sendung gesehen hast und sie für gut empfunden hast. Corinna Milborn macht das großartig und schafft eine Vertrauensbasis, so dass dann auch offen in diesem Studio wirklich diskutiert werden kann.  Sie ist da, wo sie ist, weil sie ist, wie sie ist. Als privates Medienhaus haben wir mit „PULS24“ einen kompletten Nachrichtensender gestartet, dass das nicht unbedingt das perfekte Umfeld für Werbung ist, ist natürlich auch klar. Es ist total schwierig, diesen Sender zu refinanzieren. Wenn es „Breaking News“ gibt, fliegen halt auch einmal Werbeblöcke raus. Wir werden nicht, wenn ein Terroranschlag passiert, Werbung senden. Wir wollen nicht unterbrechen und die Werbekunden wollen es auch nicht. Wahl- oder Diskussionssendungen sind auch immer schwierig in puncto Werbeblocksetzung. Mit einem Nachrichtensender wirst du nie solche Reichweiten erzielen, wie mit einem Europa League-Finale. Also das ist schon ein Spagat.

Aber es ist ein Alleinstellungsmerkmal, wenn du lokale Inhalte produzierst als Medienhaus und live im besten Fall, lokal und live. Das ist etwas, das die Streaming-Giganten nicht machen. Du hast es nicht auf „Netflix“, du hast es nicht auf „Amazon“, du hast es nicht auf „Disney+“. Das machen die nicht, aber das machen wir, weil wir wissen, was gerade in unserem Land passiert. Damit wollen wir uns auch gegen die US-Giganten abheben. Ich glaube, das ist auch der richtige Weg.

 

Das glaube ich auch. „PULS4“ verbindet die Entertainment-Branche mit Privatfernsehen und gleichzeitig mit Nachrichten schon gut. Es ist nicht reines Entertainment. Eine letzte Frage: Was ist die Vision des Unternehmens? Was möchte man in Zukunft erreichen?

Jetzt gerade beschäftigen wir uns damit, wie wir es schaffen, unsere Inhalte und Sendungen möglichst vielen Leuten zugänglich machen.  Wir brauchen das wieder, um Geld zu verdienen. Das passiert zwangsläufig nicht mehr über das klassische lineare Fernsehen, sondern die Leute wollen das dann über Smart-TV konsumieren. Da geht es darum, eine gute Brand aufzubauen, wo wir alles was wir machen wieder vereinheitlichen. Wir machen das schon mit der „Zappn“-App. Da hast du alle unsere Sender drinnen, auch den ORF und „Servus TV“. Die gibt es auf allen Smart-TVs als APP und damit kannst du einfach fernsehen. Für uns gilt es das Ding größer zu machen, besser zu machen und weiterzutreiben. Das ist mal das eine: der Distributionsweg, da wollen wir hin. Einen guten und erfolgreichen Streamer aufzubauen. Im Werbesektor heißt es für uns die Reichweiten vom TV-Bereich, also lineares Fernsehen, und über die digitale Verbreitung zu verschmelzen. Eine einheitliche Messung wäre natürlich das Um und Auf, um das wieder kapitalisieren zu können. Das klingt sehr einfach, aber es ist ein sehr weiter Weg, diese zwei Welten zusammenzufassen.  Damit befassen wir uns gerade sehr intensiv.

 

Da bin ich gespannt, was dabei rauskommt. Zum Abschluss hätten wir noch einen kurzen Wordrap vorbereitet. Dann bekommst du jetzt fünf Wörter und sagst mir bitte deine erste Assoziation:

Das erste ist „Privatfernsehen“.

Spaß und Unterhaltung, also Unterhaltung.

 

Österreichische Late Night?

„Willkommen Österreich“.

 

Alexander Wrabetz?

Ein sehr erfolgreicher Medienmanager.

 

„Netflix“?

Suchen.

 

Fortgehen?

Puh, ist lange her – Abendessen.

 

 

Dieses Interview entstand zur Feier des 25-jährigen Jubiläums von BMM im Rahmen von MMF I.

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